Danach erinnert man sich an die Biographie der Opfer und schmückt den Stolperstein mit Blume und Kerze. In pandemiefreien Jahren trafen sich dann alle um 18 Uhr am Entenmarkt zum gemeinsamen Gedenken.
Die sogenannten „Stolpersteine“, die an die letzten frei gewählten Wohnungen von jüdischen Shoah-Opfern erinnern, wurden in den Jahren 2007 und 2008 verlegt. Sie wurden durch Spenden finanziert.
Isaak Bacharach wurde 1877 in Fulda geboren. Seit 1904 lebte er in Northeim. 1921 wurde ihm das Bürgerrecht verliehen. Seit 1923 wohnte er in der Bahnhofstraße 33 an der Stelle des heutigen Amtsgerichts. Bacharachs hatten nach der Erinnerung von Lotte Seidel ein sehr kleines Stoffgeschäft, das in einem Zimmer der Wohnung zur Strasse zu eingerichtet war. Die Handelsfirma wurde 1938 aus dem Handelsregister gelöscht. Isaak Bacharachs Frau Lina starb ebenfalls 1938 an Krebs. Herr Bacharach zog im Oktober 1938 nach Hannover, von wo er am 15. Dezember 1941 im Alter von 64 Jahren nach Riga deportiert wurde. Seine Tochter Irma Blanck konnte rechtzeitig nach Argentinien auswandern. Ihr Stolperstein steht für die zahlreichen Menschen, die sich durch Emigration dem Zugriff der Nationalsozialisten entziehen konnten.
Bis 1941 lebten in der Bahnhofstraße 4 die Eheleute Jonas und Jenny Blumenbaum und Paula Frankenberg. Jonas Blumenbaum wurde 1872 im hessischen Rotenburg geboren und lebte seit 1902 in der Bahnhofstraße 4 im Haus seines Schwagers Eduard Frankenberg. Von Beruf war Blumenbaum Viehhändler. Seine Frau war Jenny Blumenbaum, geb. Hanauer (Jg.1878). Seit 1940 fungierte Herr Blumenbaum bis zu seiner Deportation als Vorsteher der jüdischen Gemeinde. Die Blumenbaums wurden 1942 als letzte in Northeim verbliebene Juden nach Theresienstadt deportiert. Hier lebte auch seit ihrer Geburt Blumenbaums jüngste Tochter Lieselotte (Jg.1915). Sie heiratete nach Würzburg, wurde von dort aus nach Riga deportiert und im Januar 1945 in Stutthof ermordet. Ihr Mann konnte bei einem Transport entkommen und überlebte den Krieg.
Paula Frankenberg war die ältere Schwester von Jenny Blumenbaum. Sie wurde 1873 in Wiesenfeld geboren. Sie war mit dem 1862 geborenen Eduard Frankenberg verheiratet. Herr Frankenberg ist schon 1903 Mitglied der Northeimer jüdischen Gemeinde. Er stammte – wie zahlreiche andere – aus Imbshausen. Frau Frankenberg war seit dem Tode ihres Mannes Eigentümerin des Hauses Bahnhofstraße 4. Frau Frankenberg und Blumenbaums wurden wohl von der Stadtverwaltung gezwungen, zu Frau Rosenthal in die Hindenburgstraße 4 zu ziehen. Dort wurde ein sogenanntes „Judenhaus“ eingerichtet, was einer informellen Ghettoisierung gleichkam. Ob Frau Frankenberg diesen Umzug noch vollzog, ist unbekannt. Einen Tag nach der Ummeldung der Blumenbaums nahm sie sich das Leben( am 26.11.1941). Die Meldekarte verzeichnet auch für sie noch den Umzug zu Frau Rosenthal.
Es mögen mehrere Gründe zusammengekommen sein, die dieser 69 Jahre alten Frau den Lebenswillen nahmen. Einer wurde von einer alten Northeimerin berichtet: Danach haben deren Eltern, die mit Frau Frankenberg befreundet waren, ihr Tafelsilber abgekauft um ihr Geld zukommen zu lassen. Vielleicht hatte die alte Frau noch versuchen wollen, ein rettendes Visum ins Ausland zu bekommen. Jedenfalls wurde dieser Freundschaftsdienst verraten und der Vater der befreundeten Familie wurde verhaftet und in ein Gestapogefängnis gebracht. Die (christliche) Familie wusste nichts über den Verbleib des Vaters. Die Zeitzeugin ist sich sicher, dass Frau Frankenberg ihr Gewissen durch die Verhaftung des hilfsbereiten Freundes belastet fühlte. Jedenfalls ging sie in die novemberkalte Rhume, bevor der Verhaftete zurückkam.
Paula Frankenberg ist auf dem Northeimer Friedhof bestattet.
Von 1921 bis 1938 lebten in der Güterbahnhofstraße 30 die Familien Stern und Jacobs. Nach Aussage von Herrn Albert Hunzelmann (†) pflegten die Familien freundschaftlichen Kontakt zu ihren christlichen Nachbarn. Oskar Jacobs (Jg. 1881) und seine Tochter Lieselotte (Jjg. 1919) sowie sein Bruder Arno (Jg. 1883) wurden 1942 von Göttingen aus nach Polen deportiert. Frau Jenny Jacobs starb noch in Göttingen vor der Deportation. Nur der Sohn Hans Jacobs überlebte. Er hatte 1933 an der Corvinusschule Northeim das Abitur abgelegt. Ihm gelang im Januar 1939 die Emigration. Moses Stern (Jg. 1881) und seine Frau Olga (Jg. 1885) wurden 1941 von Hannover aus nach Riga deportiert. Frau Stern war die Schwester der Brüder Jacobs.